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Welche Folgen hat der Krieg in der Ukraine auf die politische Arbeit im Umwelt- und Klimaschutz? Der BUND hat Informationen und Erklärung erarbeitet, die wir hier mit euch teilen wollen. Lies dir häufige Fragen & Antworten zu den Zusammenhängen zwischen Krieg und Umweltschutz, Energie, Rohstoffe, Landwirtschaft und Ernährung durch! (Stand April 2022)
Hier findest du außerdem das Statement des Bundesvorstands der BUNDjugend.
Wieso sollte man sich weiterhin um das Artensterben kümmern? Ist das nicht entbehrlicher Luxus?
Ganz anthropozentrisch gesprochen: zahlreiche Arten bilden die Grundlage für unsere Ernährung, die Gesundheit von Menschen, den Erhalt von frischer Luft, sauberes Wasser und zahlreichen Rohstoffe. Und das Artensterben wird nicht nur immer kritischer, sondern durch Krieg sogar noch schlimmer. In der Krise gilt es umso mehr, Natur und Umwelt zu schützen und zu erhalten und ihre Leistungen für den Menschen zu sichern. Umfassender gesprochen: der Erhalt der Natur ist nie Luxus, sondern überlebenswichtig.
Der Erhalt von Bestäubern für Früchte und Samen, den Schutz von Lebensräumen zahlreicher Nützlinge – sozusagen des „Immunsystems“ unserer Land- und Forstwirtschaft, der Schutz der Fruchtbarkeit des Bodens, von gesundem Wasser und sauberer Luft können nicht pausiert werden.z
Fehlt dem Umweltschutz das Geld, das in die Aufrüstung fließt?
Die Finanzierung der Energie-, Verkehrs- und Wärmewende, wie auch des Naturschutzes, der Agrar- und Ressourcenwende ist eine gigantische Herausforderungen. Allein für die Förderung der Wärmewende werden jährlich schätzungsweise 25 Milliarden Euro benötigt. Aktuell erfolgt der Ausbau erneuerbarer Energien nach Haushaltslage und ist deshalb nicht (mehr) prinzipiell gesichert. Hinter der Ankündigung von 200 Milliarden Euro für den Klimaschutz bis 2026 stehen de facto nur 5 Milliarden Euro an neuen Gelder. Eine ausreichende Finanzierung des Klimaschutzes war in dieser Legislatur auch vor der Entscheidung für das 100 Milliarden Euro-Sondervermögen an die Bundeswehr nicht gesichert.
Angesichts der aktuellen Diskussionen über den Tank-Rabatt und weitere Steuererleichterungen für die Industrie drohen weitere Belastungen für den Bundeshaushalt, die für den Klimaschutz sogar kontraproduktiv sein könnten. Umso wichtiger ist es, einen langfristigen Finanzierungsrahmen für die sozial-ökologische Transformation aufzustellen. Nach heutiger Studienlage müssen die klimapolitischen Investitionen beispielsweise mindestens 1,5% des BIP (Brutto-Inland-Produkt) betragen – die Aufwendungen für die nötig werdende Klimaanpassung nicht eingerechnet. Wir machen klar, dass an den Investitionen und Ausgaben für die national wie international dringend nötige sozial- ökologische Wende nicht gerüttelt werden darf. Und auch der Verzicht auf Steuererhöhungen ist im Angesicht der großen Herausforderungen und kostenträchtigen Vorhaben im Koalitionsvertrag nicht mehr zu halten. Es wird höchste Zeit, dass die Ampel-Regierung ihren Kardinalfehler korrigiert und den sehr großen privaten Reichtum in diesem Land stärker zur Finanzierung des Gemeinwesens heranzieht.
Mit welchen Maßnahmen kann der Energieverbrauch gesenkt werden?
In allen Sektoren liegen enorme Energiesparpotenziale brach, die kurz-, mittel- und langfristig gehoben werden können. Dabei ist es wichtig, nun nicht nur auf reine Effizienzsteigerungen zu setzen, sondern auch Maßnahmen zu ergreifen, mit denen die Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen absolut gesenkt wird. Hier hat der BUND eine erste Übersicht über die jetzt erforderlichen Maßnahmen erstellt.
Warum ist der Angriffskrieg Russlands relevant für die Energiepolitik Deutschlands?
Mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine steht die Energiepolitik Deutschlands auf dem Prüfstand. Denn Deutschland ist in hohem Maße abhängig von Energieimporten: Rund 77% seines gesamten Energieaufkommens sowie sogar 98% des Mineralöls und 94% des Erdgases kommen aus dem Ausland (Zahlen nach UBA 2021). Gas wird zum Heizen und zur Stromerzeugung sowie als Rohstoff in der Industrie gebraucht. Der Gebäudesektor steht für die Hälfte des deutschen Erdgasverbrauchs, etwa um Räume zu heizen und warmes Wasser bereitzustellen. Fast jeder zweite Haushalt heizt mit Erdgas. Bei neu installierten Heizungen beträgt die Quote sogar 70%. Die Industrie – gerade Stahlhersteller – braucht Erdgas für bestimmte Prozesse, aber auch für Düngemittel sowie Grundchemikalien und Plastik werden Gas und Öl verbraucht. In der Industrie wird gut ein Drittel des Energiebedarfs mit Erdgas gedeckt. Erdgas wird dabei zu fast 90% für die Erzeugung von Prozesswärme genutzt. Bei der Stromerzeugung ist der Erdgasanteil gering (16%), soll aber kurzfristig Atom und Kohle ersetzen. Deutschland erzeugte in 2019 37,8% seines Energieverbrauchs aus Mineralöl, der größte Teil wurde mit 75% im Verkehr verbraucht.
Wie abhängig ist Deutschland von den Importen Russlands?
Der Anteil russischer Importe an den Rohöl-Einfuhren nach Deutschland liegt bei rund 35%. Erdöl ist dabei nicht nur Energiequelle, sondern auch Grundstoff für die Produktion von Chemikalien und Plastik. Russlands Anteil an den fossilen Gasimporten nach Deutschland liegt bei rund 55%. Zusammen machen Erdöl und Erdgas in 2021 59% aller Importe aus Russland aus.
Bei Kohle liegt der Anteil Russlands an den Importen bei 50%. Kurzfristig wurde durch wirtschaftliche und politische Sanktionen Druck auf Russland ausgeübt, bspw. durch die temporäre Stilllegung von Nordstream2. Durch die Nutzung importierter Brennstoffe aus Russland finanzieren wir diesen Krieg gegen die Ukraine mit. Auch durch die politischen Vorgaben und Blockaden beim Ausbau der erneuerbaren Energien seit 2012 und die Ignoranz gegenüber der Notwendigkeit, den Verbrauch von Gas, Öl und Kohle zu reduzieren, konnten fossile und atomare Energien zu strategischen Mitteln dieses Krieges werden.
Nicht nur Erdöl und Erdgas kommen aus Russland. Das Land ist eines der Rohstoffreichsten Länder der Welt, vor allem für Metalle. Nickel- und Eisenprodukte, Palladium, Kupfer und Aluminium bezieht Deutschland zu 15 bis 40% aus Russland. Palladium gehört in Deutschland und der EU zu den kritischen Rohstoffen, d.h. die Verfügbarkeit nimmt ab, während die Nachfrage rasant steigt. Russland ist neben Südafrika der größte Palladium-Produzent weltweit. 80% des Metalls gehen dabei in die Automobilindustrie. Auch Nickel kommt zu großen Teilen aus Russland. Nickel ist vor allem für die Energiewende ein gefragter Rohstoff. Er wird u.a. für Batterien in E-Autos eingesetzt.
Metallische Rohstoffe stehen übrigens nicht auf der Sanktionsliste der EU.
Welche sinnvollen Alternativen haben wir zu Energieimporten aus Russland?
Insbesondere der Ersatz von leitungsgebundenen Gaslieferungen ist kurzfristig nicht vollständig machbar. Sollte es zu Versorgungsengpässen kommen, muss aus unserer Sicht auch die Industrie Abstriche machen und die Versorgung der Haushalte höchste Priorität haben. Innerhalb des fossilen Energiesystems gibt es nur schlechte (bspw. Erdgas durch Öl oder Kohle zu ersetzen) und sehr schlechte Alternativen (bspw. Fracking-Gas, LNG aus anderen autoritären Regime). Die Bundesregierung muss deshalb nun alle Hebel in Bewegung setzen, den naturverträglichen Ausbau erneuerbarer Energien zu entfesseln und in allen Sektoren Energie und Rohstoffe zu sparen. Dafür sind kurzfristige Maßnahmen ebenso wichtig wie Weichenstellungen für mittel- und langfristige Effekte. Wir sollten endlich auch darüber sprechen, welche Produkte wir in Zukunft noch in welchen Mengen produzieren wollen und können. Eine Reduktion von kurzlebigen Gütern wie Verpackungen (z.B. Einwegplastik) kann zu Einsparungen von Öl und Gas beitragen.
Über die akute Krise hinaus müssen wir uns mit voller Kraft dafür einzusetzen, dass Deutschland und Europa jetzt die Weichen für eine nachhaltige Wasserstoffnutzung stellt. Dazu gehört neben der Planung einer ausreichenden Import- und Transportinfrastruktur für grünen Wasserstoff auch die Umsetzung ambitionierter Nachhaltigkeitskriterien. Diese sollten auch Anforderungen an den Schutz der Menschenrechte und gute Regierungsführung erhalten. Insgesamt muss unsere Energieimportabhängigkeit durch die Energiewende aber sinken.
Können wir den naturverträglichen Ausbau erneuerbarer Energien weiter beschleunigen?
Kurzfristig wird sich der Anteil der erneuerbaren Energien nicht deutlich erhöhen lassen. Die dringend notwendigen Baumaßnahmen von Solar- und Windenergieanlagen brauchen Zeit. Auch naturverträglich beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren sind nicht sofort wirksam. Die Bundesregierung muss noch konsequenter daran arbeiten, möglichst schnell und naturverträglich 100% auf Erneuerbaren basierende Energieversorgerung zu erreichen.
Dazu muss jetzt die EEG Novelle (Erneuerbare Energien Gesetz) genutzt werden, um die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Insbesondere das Potenzial von Bürger*innenenergie muss voll ausgeschöpft werden – die Umsetzung der EU-Vorgaben dazu ist immer noch eine Leerstelle. Es müssen jetzt die Rahmenbedingungen geschaffen werden, um gemeinsam Energie zu erzeugen, zu verbrauchen und zu teilen (Energy Sharing). Es reicht nicht aus, den Eigenverbrauch von Umlagen zu befreien. Außerdem braucht es jetzt die naturverträgliche Umsetzung eines Zwei-Prozent-Flächenziels für Windenergie sowie die angekündigte Solarpflicht auf allen geeigneten bereits versiegelten Flächen, wie z.B. Dächern und großen Parkplätzen. Diese Entscheidungen dürfen nicht vertagt werden.
Warum ist Atomkraft keine Lösung für eine unabhängige und sichere Energieversorgung?
Der im Atomgesetz verankerte Abschalttermin für die verbliebenen drei deutschen Atomkraftwerke (AKW) ist der 31. Dezember 2022. Die Bundesregierung hat sich aktuell gegen eine Laufzeitverlängerung ausgesprochen. Dennoch bringen Politiker*innen und deutsche AKW-Betreiber eine Verlängerung immer wieder ins Spiel. Ein Weiterbetrieb über das Jahr 2022 hinaus wäre mit hohen sicherheitstechnischen und -politischen Risiken verbunden. Es bestehen zudem erhebliche Zweifel, ob eine Rückabwicklung des fortgeschrittenen Ausstiegsprozesses technisch, betrieblich und legislativ überhaupt machbar wäre. Die Betreiber haben sowohl ihre Personalplanung als auch den Brennstoffeinsatz langfristig geplant und exakt auf den gesetzlichen Abschalttermin ausgerichtet.
Die Atomindustrie ist abhängig von Uran-Importen aus autoritären Staaten (u.a. Russland) und indigenen Gebieten. Der Uran-Bergau verursacht zudem massive Umweltschäden in den betroffenen Gebieten und fördert globale Abhängigkeiten und Ungerechtigkeiten.
Die Bundesregierung muss an dem gesetzlichen Abschalttermin festhalten. Der Nutzen durch die von den drei verbliebenen AKW im Winter 2022/23 produzierten Strommengen steht in keinem Verhältnis zu den mit dem Weiterbetrieb verbundenen wachsenden Sicherheitsrisiken. Die letzten drei deutschen AKW haben die Betriebsdauer von 30 Jahren längst überschritten. Laufzeitverlängerungen sind ökonomisch unsinnig und sicherheitstechnisch nicht tragbar. Der Krieg in der Ukraine zeigt deutlich, welche Gefahren im Kriegsfall von Atomanlagen ausgehen. Auch ohne den Einsatz von Atomwaffen oder beabsichtigte Anschläge droht eine nukleare Katastrophe durch Geschosse, die AKW oder Atommüll-Lager ungezielt treffen könnten.
Da Laufzeitverlängerungen zudem nicht für eine kurze Zeitspanne denkbar sind, würden sie den Ausbau der Erneuerbaren zurückdrängen und die Energiewende voraussichtlich um Jahre zurückwerfen.
Kann Offshore-Windenergie eine realistische Alternative darstellen?
Bezüglich des Ausbaus der Offshore Windenergie bedarf es einer Gesamtbetrachtung. Der übermäßige Ausbau im Meer droht insbesondere die gesamte Nordsee grundlegend zu verändern. Auswirkungen des Ausbaus der Offshore-Windenergie, in der sämtliche durch den Ausbau induzierte Umweltbeeinträchtigungen eingestellt werden. Installation, Anbindung und Betrieb der Anlagen haben nicht nur direkte Auswirkungen auf die Lebensraumeignung, sondern auch auf klimarelevante Ökosystemleistungen. D.h. es müssen auch Belastungsgrenzen und Auswirkungen nachfolgender Infrastrukturen, wie Kabeltrassen durch das Küstenmeer und die dort gelegenen Schutzgebiete, Beeinträchtigungen der Schutzgebiete durch Serviceverkehr zu den Offshore-Windparks, aber auch der Ausbau von Stromautobahnen an Land berücksichtigt werden. In jedem Fall ist zwingend, dass die Belastungsgrenzen des Meeres- und des Küstenökosystems nicht überschritten werden.
Bei der Bewertung der naturschutzfachlichen Auswirkungen sowie bei der Begleitforschung des Ausbaus der Offshore-Windanlagen muss stets auch der kumulative Einfluss der gesamten Windkraftfelder auf das Ökosystem, sowie deren möglicher Einfluss auf Populationen berücksichtigt werden.
Beim Ausbau der Offshore-Windenergie dürfen die Meeresschutzgebiete nicht belastet, gestört oder als Standort genutzt werden. Vielmehr sollten die naturschutzfachlichen Abstandsregeln zu Schutzgebieten beibehalten werden. Auch andere Nutzungen dürfen nicht in die Schutzgebiete verlagert werden, um die ursprüngliche Funktion des Schutzgebietes nicht zu beeinträchtigen. Die Hälfte der Flächen der Schutzgebiete sollten Null-Nutzungsgebiete sein. Nullnutzungszonen sind die effektivste Art von Meeresschutzgebieten, nur so können sich die Schutzgüter ungestört erhalten und entwickeln.
Welche Bedeutung kommt LNG-Terminals als Alternative zu Energieimporten zu?
Die Bundesregierung hat die Umsetzung der umstrittenen zwei neuen LNG-Terminals für den Import von flüssigem Erdgas angekündigt. Der BUND lehnt diese Pläne weiter entschieden ab. Die gewünschte Diversifizierung des Erdgasangebotes wird damit nicht kurzfristig zu erreichen sein. Nach Angaben der Betreiber wird der neue Terminal in Stade “frühestens 2026” in Betrieb gehen können. Auch schwimmende Terminals stehen nicht unmittelbar zur Verfügung, weil für ihre Landverbindung umfangreiche Hafenumbauten nötig sind.
Investitionen in LNG sind nicht zukunftsträchtig, weil es an validen und sinnvoll finanzierbaren Konzepten für ihre Umstellung auf Wasserstoff fehlt. Sie werden deshalb schon kurz nach der Fertigstellung wahrscheinlich überholt sein und für eine klimaneutrale Importinfrastruktur größtenteils abgerissen und neu gebaut werden müssen. Die Gas-Terminals sind keine kurzfristige Lösung für die Energieversorgung Deutschlands ohne Russlands Energieträger. Lieferungen über bestehende Terminals im europäischen Ausland können aber kurzfristig Teil einer Angebotsdiversifizierung.
Wie wirkt sich der Krieg in der Ukraine auf die deutsche und europäische Agrar- und Ernährungspolitik aus?
Russland ist für rund 10%, die Ukraine für rund 4% der weltweiten Weizenproduktion verantwortlich. Beide Länder sind außerdem große Exporteure: Russland hat einen Anteil von rund 17%, die Ukraine von rund 12% an den weltweiten Weizenexporten. Hauptimporteure sind vor allem die Länder Nordafrikas, die Türkei sowie asiatische Länder. Außerdem ist die Ukraine ein wichtiges Anbauland für Sonnenblumen (z.B. für Öl- und Futtermittelerzeugung) und von Futtergetreide. Die aufkommende Diskussion in der EU, nun wichtige Vereinbarungen zum Umbau und der Ökologisierung der Landwirtschaft für die kommende Förderperiode der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) oder der Farm-to-Fork-Strategie auszusetzen, ist allerdings genau die falsche Konsequenz.
Hunger bleibt aber global gesehen ein Verteilungs- und Armutsproblem. Jedes Jahr verliert der Planet etwa zehn Millionen Hektar fruchtbaren Boden und der Boden-Burnout gilt auch für Europa. Auch in Deutschland nehmen die Humusgehalte landwirtschaftlicher Böden bundesweit ab. Unter dem Eindruck des Krieges rufen nun einige Politiker*innen in der EU, aber auch in Deutschland dazu auf, unter dem Vorwand der Ernährungssicherheit die Agrarwende und damit den Schutz von Boden, Wasser, der biologischen Vielfalt aufzuschieben. Diese Appelle sind verantwortungslos. Wir brauchen mehr Ökolandbau und mehr Ökologisierung in der gesamten landwirtschaftlichen Fläche. Das ist keine (Luxus-)Option, sondern ein zwingender Beitrag zur agrarpolitischen Unabhängigkeit, Resilienz und letztlich auch zur Ernährungssicherheit. (Maßnahmenvorschläge BUND)
Warum brauchen wir weiterhin den Umbau und die Ökologisierung der Landwirtschaft?
Der Umbau der Landwirtschaft ist eine Investition in die Zukunft. Nur eine Ökologisierung und ein Umbau der Landwirtschaft schaffen eine widerstandsfähige Landwirtschaft und ein widerstandsfähiges Agrarsystem mit regionalen Lieferketten, das mit Krisen (menschengemachten, Natur- und Klimakrisen) umzugehen kann und weniger störungsanfällig ist.
Die (wenn auch geringen) Verbesserungen im Rahmen der GAP ab 2023 und die strategischen Ziele, die sich aus der Farm-to-Fork- und der EU-Biodiversitätsstrategie ergeben, müssen bewahrt werden. Sie sind Zukunftsinvestitionen in ein friedliches Europa.
Denn der Krieg zeigt in besonderem Maße, wie instabil unser aktuelles Agrarsystem ist. Unsere Landwirtschaft ist derzeit in großem Maße abhängig vom Import von Energie und Ressourcen, vor allem von Grundstoffen für Dünger bzw. Energie zur Herstellung von Dünger, sowie von Futtermitteln. Eine (weitere) Ökologisierung und ein konsequenter Umbau würden uns hier unabhängiger machen. Beides trägt gleichzeitig dazu bei, unsere Lebens- und Produktionsgrundlage für kommende Generationen zu sichern.
Denn nicht nur der Produktionsertrag / Rohstoffertrag der heutigen Landwirtschaft ist wichtig, sondern auch ihr Beitrag zur Landwirtschaft und damit Ernährung von morgen. Deshalb braucht es dringend die in der GAP und Farm-to-Fork vorgelegten und weitere Maßnahmen für mehr Ernährungssicherheit und Landschaftsschutz durch:
Nur so kann Landwirtschaft auch noch in vielen Jahrzehnten funktionieren, und gesunde Lebensmittel für alle produzieren.
Warum haben die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Re-Intensivierung der Landwirtschaft in Europa und Deutschland keinen Sinn?
Schnell wurde nach der Kriegseskalation im Februar 2022 gefordert, die europäische Agrarpolitik zurückzudrehen: unter anderem sollen stillgelegte Flächen wieder bewirtschaftet, die Bindung von GAP-Mitteln an ökologische Maßnahmen aufgehoben, Pläne zur Pestizidreduktion eingestampft werden. Das ist nicht sinnvoll. Nicht nur, weil der Umbau und die Ökologisierung der Landwirtschaft langfristig unsere Lebensgrundlagen und damit auch unsere Ernährung sichern können.
Beispielsweise führt die erneute Innutzungnahme von insgesamt bis zu 4% sogenannter nicht-produktiver Flächen des Ackerlands nicht zu 4% mehr Ertrag, weil i.d.R. besonders unproduktive oder weit von Hofstellen gelegene Standorte dafür ausgewählt werden. Auf diesen stillgelegten Flächen könnte nur wenig Ertrag mit viel Aufwand erzeugt werden. Diese also nur geringen Mehrerträge hätten kaum Einfluss auf die weltweite Verfügbarkeit von z.B. Getreide. Ihre Nutzung hätte allerdings massive negative Konsequenzen für die Biodiversität.
Außerdem bedeutet eine verstärkte Flächennutzung auch, dass die Abhängigkeit von Energie und (Dünge-)Rohstoffen bestehen bleibt. Unsere Landwirtschaft und Ernährung würden also nicht resilienter – im Gegenteil. Auch Gentechnik-Pflanzen verschärfen die Abhängigkeiten im System: Zum einen, weil sie in der Regel durch Patente geschützt sind, also immer wieder neu nachgekauft werden müssen. Zum anderen, weil sie in der Regel High-Input-Pflanzen sind.
Wie wirkt sich der Krieg in der Ukraine auf die globale Ernährungssituation aus?
Schon jetzt sind diese Auswirkungen vor allem in den großen Importländern spürbar, weil Lagerbestände nicht mehr ausgeliefert werden können. Wenn in den nächsten Wochen keine Aussaat erfolgen kann, wird sich diese Situation Ende 2022 und über 2023 verschärfen. Das betrifft vor allem die Länder Nordafrikas, die Türkei, sowie asiatische Länder, die auf Importe aus Russland und der Ukraine zur Versorgung ihrer Bevölkerung angewiesen sind.
Deshalb ist es kurzfristig wichtig, Länder in denen Hunger herrscht, durch kurzfristige Hilfe zu unterstützen (z.B. durch das World Food Programme).
Grundsätzlich gilt aber weiterhin: Hunger ist vor allem ein strukturelles und Verteilungsproblem (u.a. Armut, Verteilungsprobleme, fehlender Zugang zu Land, fehlende Ressourcen und Ausbildung, fehlende Möglichkeit des eigenen Nachbaus von Saatgut). Die massiven Auswirkungen der wegbrechenden Exporte nach Nord- und Ostafrika zeigen erneut, wie wichtig es ist, dass Länder weniger abhängig werden und in die Lage versetzt werden, sich selbst zu versorgen bzw. die Nahrungsmittelversorgung ihrer eigenen Bevölkerung sicherstellen zu können.
Wird es in Deutschland zu einem Versorgungsengpass bei Lebensmittel kommen?
Die Versorgung in Deutschland ist durch den Krieg und die dadurch drohenden Ernteausfälle nicht bedroht. Die EU und Deutschland haben einen Selbstversorgungsgrad mit Konsumgetreide von über 100%. Die Versorgung innerhalb der EU ist daher nicht gefährdet. (BMEL, 3.3.2022)
Allerdings können Lieferketten unter Druck geraten, weil Getreide nicht mehr geliefert werden kann. Es kann zu Preissteigerungen kommen. Eventuelle Knappheiten betreffen allerdings eher den Futtermittelbereich. So hat die EU in den vergangenen Jahren direkt aus der Ukraine Sonnenblumen und Raps als Eiweißfuttermittel eingeführt. In der Konsequenz würden tierische Lebensmittel teurer. Preise steigen auf dem Weltmarkt momentan allerdings nicht nur wegen kommender Knappheiten, sondern auch auf Grund von Spekulation.
Die Schwankungen ließen sich zum Teil abfedern, wenn Beimischungen in Diesel und Benzin verboten würden. Denn in Deutschland werden mehr als 3,4 Millionen Tonnen Getreide und Ölpflanzen zu Agrokraftstoff verarbeitet. Für die Herstellung von Agroethanol kommt dabei bisher in hohem Anteil ukrainisches Getreide zum Einsatz (weitere Infos dazu).