Landwirtschaft
Das gekochte Ei am Morgen, die Milch im Kaffee, das Schnitzel zu Mittag und abends noch eine Frikadelle aufs Brot – tierische Produkte sind für uns eine Selbstverständlichkeit auf dem Speiseplan. Dabei führt der weltweit steigende Fleischkonsum und die Abwendung von regionalen und ökologisch hergestellten Produkten zur Zerstörung der Natur, treibt den Klimawandel voran und raubt in Ländern des globalen Südens Ressourcen und Flächen.
Aus unserer Sicht lassen sich Landwirtschaft und Ernährung nicht ohne globale Perspektive und Naturschutz denken. Die industrielle Landwirtschaft benötigt einen hohen Ertrag pro Fläche, um größtmögliche Einnahmen zu erzielen. Eine Folge ist der Verlust von Lebensräumen vieler Arten, die sich auf Feld und Flur spezialisiert haben.
Zudem ist die industrielle Landwirtschaft für ein Drittel der Treibhausgase weltweit verantwortlich!
Die intensive Nutzung und Überdüngung von Böden, die Massentierhaltung und die großflächige Umwandlung naturbelassener Ökosysteme wie Wälder und Moore führen zu einem immer größeren Ausstoß von klimaschädlichen Gasen wie Methan und CO2.
Die EU unterstützt diese negative Entwicklung mit Steuergeldern: Landwirtschaftliche Betriebe erhalten Gelder pro Fläche – und nicht etwa für den Arten- oder den Klimaschutz. So müssen immer mehr kleine und mittelständische bäuerliche Betriebe aufgeben. Dabei ist ein Umdenken weg von der industriellen Landwirtschaft hin zu einer kleinbäuerlichen, sozial und ökologisch verträglichen Landwirtschaft nötiger denn je!
Ökogerechte Agrarförderung
Bei der Ökogerechten Agrarföderung geht es darum, einen Zustand zu erreichen, der in den meisten natürlichen Ökosystemen sowieso vorherrscht: Artenvielfalt, gesunde Böden, geringe Emissionen, sauberes Wasser usw. Um zu begreifen, wie das funktionieren kann, ist es zunächst wichtig, zu verstehen, was ein Ökosystem ist. Der Begriff umfasst eine Einheit von Lebewesen und abiotischen Umweltfaktoren, die untereinander so wechselwirken, dass das System sich selbst erhält. Diese Einheit bezieht sich weniger auf räumliche Begrenzung als auf zusammenhängende Energie- und Stoffkreisläufe. Natürliche Ökosysteme können also auf verschiedenen Ebenen existieren, vom Wald nebenan bis über kontinentale Grenzen hinweg. Momentan unterliegen unsere Ökosysteme durch Klimawandel und Artenschwund schnellen Wandlungen, sodass es kaum möglich ist, ein Ökosystem zu definieren, in dem die Energie- und Stoffkreisläufe im Gleichgewicht stehen.
Wir und andere Lebewesen gewinnen beinahe alle Elemente, aus denen wir bestehen und Energie schöpfen, aus vier Stoffkreisläufen. Ihr reibungsloser Ablauf ist besonders unter dem Gesichtspunkt des begrenzten Vorkommens von Ressourcen relevant. Umso wichtiger ist es, dass sie für alle verfügbar bleiben, modifiziert, weitergegeben und wiederverwertet werden. Der Phosphorkreislauf liefert wichtige Bestandteile für die DNA, Zellmembranen und die zelluläre Energiequelle ATP. Auch Stickstoff ist in vielen relevanten Makromoleküle enthalten, unter anderem in Aminosäuren. Der Stickstoffkreislauf beginnt mit der Fixierung des in der Atmosphäre enthaltenen Stickstoffs. Dazu sind nur wenige Bakterien fähig. Sie bringen den Stickstoff in eine Form, die von Pflanzen aufgenommen werden kann. Hier finden weitere chemische Veränderungen statt, bis auch für Tiere und Menschen Stickstoff in verträglicher Form verfügbar gemacht wird. Mit ihren Ausscheidungen wird der Stickstoff wieder dem Boden samt Mikroorganismen zugeführt.
Der Kohlenstoffkreislauf liefert das Grundgerüst für alle Stoffe, die wir benötigen. Doch nur etwa 0,2% des globalen Kohlenstoffs füttern diesen Kreislauf. Das sind genau die 0,2%, die in Form von CO2 in der Atmosphäre enthalten sind. Ausschließlich Pflanzen und photosynthetisch aktive Mikroorganismen schaffen es, das CO2 in chemische Energie umzuwandeln. Hierfür sind Sonnenenergie und Wasser unabdingbar. Aber auch für andere Lebensprozesse wird Wasser benötigt und somit stellt der Wasserkreislauf in enger Verbindung mit der Sonneneinstrahlung den letzten wichtigen Faktor zur Produktion von Nährstoffen dar. Tatsächlich hat sich herausgestellt, dass die Wasserversorgung den größten Einfluss auf das Pflanzenwachstum hat (1). Daher ist die Primärproduktion in tropischen Regenwäldern am höchsten. Hier besteht ein ideales Gleichgewicht zwischen Feuchtigkeit und Wärme.
Genau diese Primärproduktion der Pflanzen ist es, die uns alle am Leben erhält. Es liegt in den Händen der Landwirt*innen, sie auch in anderen Klimazonen so konstant und hoch wie möglich zu halten. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen sie verschiedene Aufgaben entsprechend den regionalen Verhältnissen bewältigen. Ein Hindernislauf voller Challenges, die überwunden werden wollen…
Die Bedingungen für Feuchtigkeit und Temperatur sind nicht in allen Regionen der Welt gleich. Dementsprechend finden verschiedene Methoden der Bewässerung Anwendung.
Beim Regenfeldbau wird so gut wie möglich auf künstliche Bewässerung verzichtet. Nur im Notfall, wenn natürliche Niederschläge nicht ausreichen, wird darauf zurückgegriffen. Nur in sehr wenigen subtropischen Gebieten sind die Niederschläge das ganze Jahr über ausreichend. In anderen Regionen bleiben die Felder zur trockenen Jahreszeit leer oder werden mit trockenresistenten Pflanzen besetzt. Auf solche Pflanzen setzt auch der Trockenfeldbau, mitunter als Dry Farming bezeichnet. Hierbei wird ausschließlich mit natürlichen Niederschlägen bewässert. Das ist in mittleren Breiten möglich, indem Wasser aus niederschlagreichen Zeiten zwischengespeichert wird und die sogenannte Trockenbrache eingeführt wird. In dieser Zeit wird der Boden so bearbeitet, dass er möglichst viel Wasser aufnimmt und speichert.
Der Großteil unserer weltweiten Nahrungsmittel entstammt jedoch dem Bewässerungsfeldbau. Obwohl nur 16 % der landwirtschaftlichen Fläche auf diese Art und Weise bewirtschaftet werden (2), verbrauchen sie allein 70 % des global verfügbaren Süßwassers (3). Eine enorme Menge, die an anderer Stelle als Trinkwasser fehlt. In vielen Regionen der Erde ist es jedoch kaum möglich, ohne Bewässerung auszukommen. Außerdem verleiht der Bewässerungsfeldbau den Landwirten eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber Schwankungen der Temperaturen und Niederschläge. Dennoch – die Probleme, die diese Methode mit sich bringt, überwiegen auf lange Sicht den Vorteilen, die sich erstmal zeigen mögen. Durch zu rasche Entnahme von Grundwasser kann es zu Bodenabsackungen kommen, der Boden reichert sich mit unnatürlich vielen Mineralstoffen und Salzen an, denen die Pflanzen auf Dauer nicht standhalten können, der Energieaufwand ist groß und in vielen Fällen sind bauliche Maßnahmen wie Staudämme nötig. Die übermäßige Bewässerung stellt also einen weitreichenden Eingriff in die Natur dar, insbesondere, wenn man bedenkt, dass ein großer Teil des zugeführten Wassers von den Pflanzen gar nicht aufgenommen werden kann, sondern ungenutzt abfließt.
Eine weitere Methode, die nur bei wenigen Pflanzenarten greift, ist der Nassfeldbau. Eine Wasserfläche wird angestaut, auf der dann Pflanzen wie Reis angebaut werden. In manchen Fällen wird der Nassfeldbau mit Aquafarming kombiniert. Auf der geschwemmten Anbaufläche leben also zur gleichen Zeit Fische. Das spart nicht nur Fläche, sondern auch Aufwand und Energie. Die Fische fressen Pflanzenreste und halten so das Wasser sauber. Dadurch geht weniger Methan durch Fäulnisprozesse verloren. Zugleich dienen die Ausscheidungen der Fische als natürlicher Dünger für die Pflanzen.
Damit wir Menschen uns von Pflanzen ernähren können, brauchen die Pflanzen zunächst selbst ausreichend Nährstoffe. Insbesondere die bereits erwähnten Elemente Stickstoff und Phosphor haben eine wachstumsfördernde Wirkung auf Pflanzen. Sie können synthetisch hergestellt und in Form von Salzen in sogenannten mineralischen Dünger verarbeitet werden. Die Salze sind gut löslich in Wasser und daher direkt und schnell für die Pflanzen verfügbar. Allerdings werden sie dadurch auch leichter aus dem Boden ausgewaschen und weggeschwemmt.
Dem gegenüber steht der organische Dünger. Dazu gehören beispielsweise Stallmist und Kompost. Es dauert länger, bis eine Wirkung eintritt, da die organischen Komponenten zunächst von Bodenorganismen zersetzt werden müssen. Da dies aber das Bodenleben insgesamt fördert, ist deutlich nachhaltiger für einen ausgeglichenen Nährstoffgehalt im Boden gesorgt. Allerdings setzen die Abbauprozesse Methan frei und bis sie endlich abgeschlossen sind, können Niederschläge den Dünger fortspülen und seine fördernde Wirkung zunichtemachen. Es besteht also sowohl bei mineralischen als auch bei organischen Düngern die Gefahr der Eutrophierung benachbarter Gewässer und Grundwasserbelastung.
Eine Möglichkeit, den Düngerbedarf zu reduzieren, sehen Landwirte in der Präzisionslandwirtschaft, auch Precision Farming genannt. Die Idee dahinter ist, die Unterschiede des Nährstoffgehalts innerhalb eines Feldes zu berücksichtigen. Denn dieser kann schon innerhalb weniger Quadratmeter deutlich schwanken. Mithilfe von Bodenproben oder installierten Kameras, die aufgrund der Farbe der Pflanzen erkennen können, welche Nährstoffe fehlen, werden Maschinen programmiert, die dann eine möglichst gezielte Düngung durchführen (4).
Den natürlichen Kreisläufen eines Ökosystems kommt jedoch die Gründüngung am nächsten. In natürlichen Böden sind es letztlich die Mikroorganismen, die einen Großteil der Nährstoffe aufschließen, fixieren und den Pflanzen verfügbar machen. Im Laufe der Evolution hat sich ein extrem komplexes System aus Symbiosen und Wechselwirkungen zwischen Bakterien, Pilzen und Pflanzen entwickelt. Pilze zum Beispiel bilden ein ganzes Netzwerk aus Hyphen, die mit Wurzeln symbiontisch verbunden sind. Diese sogenannten Mykorrhiza erhöhen als Fortsetzung der Wurzeln deren Oberfläche, und damit die Wasser- und Nährstoffaufnahme, enorm. Da die Pilzhyphen sich auch mit anderen Pflanzenwurzeln bzw. deren Mykorrhiza verbinden können, fungieren sie als eine Art Gleis zur Übertragung von Nährstoffen. Schwächere Pflanzen erhalten so Nährstoffe von bevorteilten Pflanzen, wodurch Nährstoffdifferenzen im Boden auf natürliche Weise ausgeglichen werden können.
Dies ist nur ein Beispiel der unendlichen Vielfalt förderlicher Mikroorganismen. Ihre Wirkung ist bereits weit bekannt und manche Landwirte setzen sogenannte Probiotika ein. Dem Boden werden also genau solche Bakterien und Pilze hinzugefügt, von denen man sich eine unterstützende Wirkung verspricht. Doch auch diese Methode lässt berechtigte Kritik zu: Die Welt der Mikroorganismen und ihrer Wechselwirkungen untereinander liegen noch weit außerhalb unseres Verständnisses. Mit Eingriffen in diese Welt, könnten wir Kettenreaktionen in Gang bringen, deren Tragweite nicht abzuschätzen ist.
Dennoch können die chemischen Kommunikationspfade des Bodenlebens unter Berücksichtigung natürlicher Gleichgewichte genutzt werden. Eine Möglichkeit, die schon lange bekannt und weit verbreitet ist, sind die Fruchtfolgen. Denn Pflanzen nehmen nicht nur Nährstoffe auf, sondern geben auch Stoffe ab, die andere Pflanzen nützen können. Insbesondere Leguminosen haben eine starke Vorfruchtwirkung. Das liegt daran, dass sich in ihre Wurzeln Knöllchenbakterien, die Rhizobien, einnisten. Sie gehören zu den stickstofffixierenden Bakterien und sind somit direkter Lieferant für einen der wichtigsten Nährstoffe.
Eine besondere Form des Mischanbaus ist das Alley-cropping. Im Deutschen ist diese Methode unter dem Begriff der Agroforstwirtschaft bekannt. Nutzpflanzen werden nicht neben Nutzpflanzen, sondern neben Baum- und Buschreihen gepflanzt. Da sie nicht abgeerntet werden, stellen sie einen guten Nährstoffspeicher dar und halten den Wasserkreislauf in Gang. Die Kronen und Blätter der Bäume schützen vor Starkregen, vor extremer Sonneneinstrahlung, Austrocknung und ihre Wurzeln vor Bodenerosion. Zudem entsteht Lebensraum für Tiere, wie z.B. Vögel. Last but not least sind Bäume bekanntermaßen die Luftreiniger und CO2-Speicher schlechthin. Zur Gründüngung im klassischen Sinne gehört vor allem der zusätzliche Anbau von Pflanzen, die nach der Ernte untergepflügt und zersetzt werden. Doch auch das Pflügen wird kontrovers diskutiert.
Pflügen ist eine in vielen Kulturen verbreitete traditionelle Art, den Boden aufzulockern. Daher wird es auch als konservative Bodenbearbeitung bezeichnet. Der Boden wird dabei einmal komplett umgewälzt. Dieses Vorgehen zielt darauf ab, die Speicherkapazität des Bodens zu erhöhen: Wasser und Nährstoffe können sich in den Bodenporen sammeln und die Luftzufuhr in untere Bodenschichten fördert die Zersetzung von Pflanzenresten. Was in die eine Richtung funktioniert, funktioniert aber meist auch in die andere. Denn das Pflügen setzt bereits gespeicherte Nährstoffe aus dem Boden frei, die durch Wind, Wasser oder in Form von Treibhausgasen genau dorthin gelangen, wo sie nicht landen sollen. Der Pflanzenanbau liegt in dieser Zeit brach und die Nährstoffe gehen ungenutzt verloren. Das Auflockern des Bodens erhöht außerdem das Risiko der Bodenerosion, da fixierende Wurzelsysteme zerstört werden.
Alternativ wird der Boden konservierend aufbereitet. Der Pflug bleibt stehen und nur die obersten Bodenschichten werden etwas aufgelockert. In manchen Fällen wird selbst darauf verzichtet. Lediglich schmale Schlitze werden in den Boden eingebracht, um das Saatgut der nächsten Frucht setzen zu können. Diese Methode wird als Direktsaat bezeichnet. Dadurch gehen weniger Nährstoffe verloren, das Bodenleben und Wurzelsysteme zur Stabilisierung bleiben erhalten. Einen Nachteil, den es abzuwägen gilt, gibt es dennoch: durch den Erhalt von Pflanzenresten und Bodenfauna können sich Pathogene viel leichter verbreiten und von einer auf die nächste Frucht übertragen werden. Daher ist die konservierende Bodenbearbeitung meist an die Nutzung von Pestiziden und Herbiziden gekoppelt.
Als Pathogene bezeichnen wir alle Viren, Pilze und Bakterien, die den Pflanzen an den Kragen wollen. Die Auswahl an möglichen Krankheiten in Pflanzenbeständen ist groß. Die Gefahr steigt mit der Dichte der Bestände, da Pathogene leicht übertragen werden können. Aber auch sehr feuchtes Wetter, Insekten, infizierte Arbeitsgeräte oder eine ungenügende Bodenbearbeitung fördern die Verbreitung.
Um Krankheiten aber auch Unkraut und Schädlingen vorzubeugen, müssen Landwirte resistente Sorten wählen und bestimmte Regeln bei der Fruchtfolge einhalten. „Kleemüdigkeit“ bspw. tritt dann auf, wenn auf einem Acker zu oft hintereinander Leguminosen angebaut wurden. Die Folgen sind kleinere Pflanzen und somit Ertragseinbuße. Aber auch die Bekämpfung von Krankheiten z.B. mit Fungiziden kostet Geld. Die Landwirt*innen müssen also vorher abschätzen, ob die Ertragseinbußen mehr Kosten als die Behandlung des Bestandes.
Dazu kommt, dass die chemische Bekämpfung ebenfalls eine Vielzahl an Risiken birgt. Der Schwund der Artenvielfalt und die toxische Belastung unsere Nahrungsmittel gehören zu den bekannteren Folgen. Aber auch Resistenzen der Keime sind möglich. Der Pilz, der für die sogenannte Panamakrankheit verantwortlich ist, sorgt für massive Ausfälle in der Bananenproduktion. Dieses Pathogen existiert in seiner jetzigen Form erst seit 1990 und ist resistent gegen Fungizide. Dazu kommt, dass es sich bei fast allen Bananen, die wir verzehren um eine einzige Sorte handelt. Resistente Sorten einsetzen ist also keine Option (5).
Ähnlich wie bei der Verteilung von Nährstoffen, können auch für die Pathogenresistenz von Pflanzen Mischanbau und unterirdische Kommunikationspfade durch Pilze von Vorteil sein. Wird eine Pflanze befallen, löst sie eine Immunantwort aus. Diese Antwort verbreitet sich dann über chemische Wege. So können weitere Pflanzen des Bestandes schon vorsorgen und die richtigen Abwehrmechanismen in Gang setzen, bevor sich das Pathogen ausbreiten kann.
Die Pathogenausbreitung kann gut durch eine geringere Bestandsdichte reguliert werden. Das vermindert aber den Ertrag pro Fläche. Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl wird die landwirtschaftlich nutzbare Fläche immer kleiner und kleiner. Dabei werden schon 51.1 % der Fläche in Deutschland für die Landwirtschaft genutzt (6). Wir können die Erde nicht größer machen als sie ist, also stellt sich die Frage, wie dennoch die gesamte Weltbevölkerung ernährt werden kann. Ein Ansatz jüngerer Zeit ist das Vertical Farming. Das Grundprinzip besteht darin, in riesigen mehrstöckigen Gewächshäusern auf mehreren Ebenen Pflanzen anzubauen. Dadurch wird nicht nur die Grundfläche vervielfacht, sondern auch Naturräume werden entlastet und können sich freier entfalten. Allerdings ist der Energie- und Kostenaufwand zur Aufrechterhaltung der Bedingungen in einem Gewächshaus so groß, dass es sich kaum lohnt, diese kreative Idee umzusetzen.
In den letzten Jahrzehnten hat sich in der Züchtung ziemlich viel getan. Unsere Getreidesorten z. B. sind hoch spezifisch. Weizen ist nicht gleich Weizen, sondern wird je nach Nutzung in unterschiedliche Kategorien eingeteilt. Es gibt Backweizen, Futterweizen, Winterweizen, Sommerweizen, Weizen mit viel oder wenig Eiweiß und und und…
Alte Sorten, die früher noch für den Universalgebrauch bestimmt waren, gibt es demzufolge weniger. Auch unsere Gemüsesorten sind größer, schmackhafter oder länger haltbar. Pflanzenzüchtung an sich (hier bitte nicht mit Gentechnik verwechseln) ist nichts Schlechtes und wird schon seitdem der Mensch sesshaft ist betrieben.
Allerdings sind die Sortenvielfalt und die Resistenz der Sorten heute geringer. Folglich muss mehr gegen Krankheiten und Schädlinge gespritzt werden und der Düngerbedarf ist gestiegen. Welche Umweltfolgen die Pestizide und Co. mit sich bringen, ist den meisten vielleicht klar. Für einige Bauern und Bäuerinnen ergibt sich durch Pflanzenzüchtungen aber noch eine andere Not. Das heutige, moderne Saatgut ist meist von großen Firmen patentiert. Das bedeutet, Landwirte müssen es kaufen und dürfen es nicht selbst weitervermehren. Hinzu kommt, dass häufig Hybridsamen vermarktet werden, die dann zwar das Erbgut zweier Arten in sich tragen, aber selbst nicht mehr oder nur eingeschränkt fortpflanzungsfähig sind. Die Landwirt*innen müssen dann jedes Jahr neue Samen kaufen. Dadurch begeben sie sich in eine Abhängigkeit von großen Firmen, die Leistungsstarkes Saatgut herstellen, um wettbewerbsfähig bleiben zu können. Und damit sind wir schon beim letzten Punkt.
Vor allem kleine und mittelgroße Betriebe stehen unter Druck, und zwar von allen Seiten. Die Konsument*innen möchten alle Produkte, zu jeder Zeit in bester Qualität. Die Supermarktketten drücken die Preise. Die Politik muss notwendige Umweltauflage beschließen. Dabei ist der Ertrag der Landwirt*innen ohnehin schon abhängig von unbeeinflussbaren Faktoren wie Wetter oder Bodenqualität. Zudem können die Preise von Lebensmitteln stark schwanken. Ein gutes Beispiel sind die Ferkelpreise, die auf Grund der drohenden Schweinepest stark gesunken sind (7).
Der Beruf der Landwirt*innen ist also sehr risikobehaftet und oft scheinen Wirtschaftlichkeit und Umweltschutz sowie Tierwohl nicht vereinbare Wiedersprüche zu sein. Ein Kilogramm Schwein bringt den Landwirt*innen z. B. nur circa 1,56 €. Die Gewinnmargen sind damit eher gering. Das Futter für die Tiere und der Kredit für den Stall ist aber teuer. Damit sich die Schweinehaltung also wirtschaftlich lohnt, muss in engen Zeitfenstern sehr viel „produziert“ werden, sprich es handelt sich um Massentierhaltung.
Um dem entgegenzuwirken, muss ein Umdenken erfolgen, das vor allem bei den Konsument*innen und der Politik anfängt. Denn wenn z.B. Tierbetriebe in Deutschland schließen müssen, die Nachfrage an Fleisch aber nicht sinkt, werden wir gezwungen sein Fleisch aus dem Ausland zu importieren. Dann haben wir keine Möglichkeit mehr, Tierschutzstandards zu kontrollieren.
Diese Anforderungen unter einen Hut zu bringen, ist womöglich eine der größten Herausforderungen in unsrer Zeit. Doch wie können wir das tatsächlich schaffen? Nach der Betrachtung der Möglichkeiten und Bedingungen, unter denen Landwirt*innen dieser Welt arbeiten, lässt sich darauf wohl kaum eine allgemein gültige Formel ableiten. Vielleicht hilft es, erneut einen Blick auf Rousseau zu werfen, um uns gewahr zu werden, was wichtig ist. Rousseau sagte, die Früchte der Erde gehören allen und die Erde selbst niemandem. Wir leben mit der Erde, sind Teil der Natur und eines riesigen Ökosystems, das den ganzen Globus umspannt. Dieser Verantwortung sollten wir uns alle bewusst sein, genauso wie der Möglichkeit und Fähigkeit, unsere Umwelt mitzugestalten. In der heutigen Zeit stetigen Wandels und Fortschritts, ist Rousseaus „Zurück zur Natur“ vielleicht gar nicht mehr umsetzbar und womöglich auch nicht mehr das, was die Welt braucht. Um die Natur so weit wie möglich sich selbst zurückzugeben und ihre Früchte gerecht zu verteilen, bedarf es vielmehr einem: „Voran zur Natur“ mit mehr Bewusstsein für natürliche Ökosysteme, neuen Ideen, Mut und vor allem der bestmöglichen Unterstützung für Landwirt*innen.
(1) L. Urry, M. Cain, S. Wasserman, P. Minorsky, J. Reece: Campbell Biologie, 11. Auflage, Hallbergmoos 2019
(2) https://www.spektrum.de/lexikon/geographie/bewaesserungswirtschaft/934 (bewässerte Fläche)
(3) https://www.landwirtschaft.de/diskussion-und-dialog/umwelt/wie-viel-wasser-steckt-in-landwirtschaftlichen-produkten/ (Süßwasserverbrauch)
(4) https://www.iva.de/iva-magazin/forschung-technik/praezisionslandwirtschaft-vorteil-fuer-landwirt-und-umwelt (Präzisionslandwirtschaft)
(5) https://www.transgen.de/forschung/409.pilzkrankheiten-banane.html (Bananenkrankheit)
(6) https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/Daten-und-Fakten-Landwirtschaft.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Flächennutzung)
(7) https://www.rvv-verbund.de/preisnotierungen/preistabelle-ferkel.html (Ferkelpreise)
ZKL
Die BUNDjugend war seit Beginn Teil der Zukunftskommission Landwirtschaft, die 2020 vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ins Leben gerufen wurde und 2021 einen Abschlussbericht vorlegte. Dafür wurden Vertreter*innen aus Landwirtschaft, Wirtschaft, eingeladen – wir zusammen mit der Deutschen Landjugend als Jugendvertretung. Trotz aller unterschiedlicher Meinungen der verschiedenen Parteien konnte ein gemeinsamer Weg erarbeitet werden – eine große Ermutigung auch für die zukünftige Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaft und Umweltschutz! Die Empfehlungen der Kommission für ein ökonomisch tragfähiges, ökologisch nachhaltiges und sozial gerechtes Landwirtschafts- und Ernährungssystem findet ihr im Abschlussbericht.
Unsere Forderungen
- Ökologisches Wirtschaften unter Berücksichtigung planetarer Grenzen
- Förderung von Diversität der Betriebsformen, z.B. kleine Biobauernhöfe
- Vergabe von staatlichen Geldern nach ökologischen und sozialen Kriterien
- Verbot der Massentierhaltung und strengere Regelungen zur Kontrolle für eine artgerechte Tierhaltung
- Verbot von Nerven-und Ackergiften, die Insekten schädigen
- Klimafreundlichkeit statt Klimaneutralität: Schutz von Bodenqualität sowie keine Zerstörung von wichtigen CO2-Speichern, wie Humus und Moore
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